Ich frage hier mal ganz unbedarft: Warum wird unter Bildern von Menschen in der Zeitung das Alter mit drunter geschrieben?

Ich sehe ein Foto von dem Leiter des Gesundheitsamtes Berlin-Neukölln. Darunter ein Name und eine Zahl.

Ich schaue das Bild an und empfinde die Zahl und den Ausdruck des Mannes als erstaunlich stimmig. Gleichzeitig frage ich mich, warum mir diese Zahl von 47 Jahren so passend zu dem Gesicht und der körperlichen Statur vorkommt. 

Der Mann wirkt nicht mehr jung und gleichzeitig nicht alt. Seine Haltung ist aufrecht und dennoch nicht zu gerade. Er wirkt entspannt, sein Blick geht offen und doch gewappnet in die Kamera.

Was würde dieses Bild ohne die Angabe des Alters bedeuten? Ich würde spontan behaupten: nicht mehr und nicht weniger. 

Bei Politiker*innen wird doch auch nicht unter jede Abbildung permanent das Alter gesetzt. Oder weiß jemand aktuell aus dem Kopf wie viel Lenze die Bundeskanzlerin zählt?

Unabhängig vom journalistischen Kontext – den ich noch werde googeln müssen – was erzeugt die Angabe des Alters beim Rezipienten*in? 

Wenn ich auf das Bild schaue, dann erscheint mir dort ein Mann in seinem besten Alter (aber was heißt das schon wieder…?). 

Allein die Zahl weist auf die gute Mitte einer durchschnittlichen lokalen Lebensdauer hin. Er scheint Erfahrungen gesammelt zu haben, auf denen er ein Fundament für sein berufliches Agieren aufbauen kann – ohne dennoch altersweise zu wirken und bereits alles gesehen zu haben. Ein fluides Auf- und Abgeben von Informationen wird durch ihn im Fließgleichgewicht laufen können. Und es ist bestimmt nicht unangenehm, mit ihm zusammen zu arbeiten.

Nun könnte man sein Alter noch mit einer weiteren vorhandenen Information verknüpfen – mit der Örtlichkeit – in diesem Fall mit Berlin-Neukölln. 

Berlin bietet historisch gesehen Grund und Boden für eher unkonventionelle Lebensläufe, nicht nur durch die jahrzehntelange Teilung in Ost und West und die Erfahrungen als Spielball der Weltmächte. Berlin erzeugt nach wie vor einen Sog für Wanderungen von Menschen von nah wie fern mit teilweise aufgebrochenen Lebenswegen.

Nun könnte man anhand der Zahl von 47 im Berliner Kontext folgende Zuschreibungen durchaus als realistisch ansehen:

  • Mit 35 Jahren sein viertes angefangenes Studium in Sozialwissenschaften abgeschlossen (vorher Jura, Ingenieurswissenschaften, BWL nach zwei bis fünf Semestern geschmissen)
  • Unterschiedliche Arbeitserfahrungen, u.a. Verkauf russischer Gasmasken an Touristen auf dem Potsdamer Platz, Taxifahrer, Späti-Besitzer.
  • In dritter Ehe verheiratet, zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe, ein Kind im Teenageralter aus zweiter und ein Baby aus dritter Ehe mit einer 29-Jährigen, die nun aber die Frau für’s Leben ist
  • Im Neuköllner Kontext könnte man hier noch von persönlichen relevanten Erfahrungen ausgehen, welche sich durch wohlmögliche räumliche oder auch wirtschaftliche Herausforderungen ergeben

Ein/e Leiter*in eines Gesundheitsamtes in Baden-Württemberg mit 47 Jahren würde wiederum andere Assoziationen hervor rufen… zB eine langjährige Ehe, zwei bis maximal drei Kinder mit ggf kleinen Enkelkindern. Eine Doppelhaushälfte mit dressiertem Garten und ein Auto für jedes Familienmitglied. Das Ach unter dem Dach weitgehend für eine Öffentlichkeit ausgeklammert.

Wenn ich den dazugehörigen Text nun lese, ergibt sich ein ernüchterndes Bild und all die Phantastereien fallen in sich zusammen: der 47-jährige Leiter des Berlin-Neuköllner Gesundheitsamtes ist Arzt*. Das heißt natürlich ein relativ langes Studium mit ggf Jahre andauernden Spezialisierungen, welche wohl relativ pragmatisch in das Wirkungsfeld des Gesundheitsamtes einfliessen.

Verstärken Altersangaben in Kombination mit Ortsangaben unter offiziellen Bildern auf den ersten Blick Vorurteile? Im dem meinem Fall ist diese Frage eindeutig mit Ja zu beantworten.

* Ist vielleicht eine relativ schlüssige Voraussetzung für die Leitung eines Gesundheitsamtes, aber der Jens hat für seinen Job ja auch kein Medizinstudium absolviert.