Ich bin mit einem Hundewelpen auf dem Tempelhofer Feld unterwegs. Besser gesagt, der kleine Hund mit mir: es geht kreuz und quer über die Wiesen durch matschiges Laub, meistens bleiben wir stehen, weil irgendwas unter den vielen braunen Blättern so verflucht interessant riecht. Und diese vielen Löcher von was auch immer für krabbelnden Viechern im verhärteten Erdreich müssen natürlich erfolglos größer gebuddelt werden. Da es keinen Spaß macht, sie mit möglichst sanfter Gewalt ständig weiter zu ziehen, tue ich das, was mir seufzend übrig bleibt: herum stehen und warten.

Auf einem umrandeten Feld für Boule-Spieler steht ein Mann und schwingt seinen Arm in ewig gleicher Manier. Es ist diese kunstvoll lässige Bewegung, die mir aus den Frankreich-Urlauben meiner Kindheit im Gedächtnis hängt: oftmals ältere Männer stehen versunken im Schatten von Platanen beieinander und betrachten rollende oder stumm herum liegende Kugeln. Auch in der Hasenheide, am Paul-Linke-Ufer oder auf so mancher Grünfläche wirken jene Gestalten wie Wesen mit einer anderen Zeitmessung. Alles erscheint gemächlicher an ihnen und um sie herum zu laufen.

Der Hund zieht mich natürlich zu einer geworfenen Silberkugel hin. Ich entschuldige mich bei dem Typen, dass ich – an der Leine hinterherschleifend – das Spielfeld betrete, da das kleine Hundchen diese Kugel beschnuppern muss. Dem Himmel sei Dank, dass es nicht dran pinkelt. Markieren ist mit 18 Wochen wohl noch nicht relevant.

„Sorry, “ sage ich, „Das ist ein Pflegehund, vielleicht sieht man auch, dass sie eher mit mir Gassi geht.“
„Jaja, das kenn ich. Ich habe auch immer wieder einen zur Pflege. Nächste Woche habe ich sie wieder.“
Das kleine Hundchen springt an ihm hoch. Sie kann sich noch so herrlich indifferent begeistern.
Während er sie ein bisschen krault, frage ich ihn nach der Faszination für dieses Boule-Spiel. Immerhin ist es kalt, grau und windig und in meinen Augen lohnt es sich vielleicht nur für diese trockenen Kite-Surfing-Addicts bei diesen klimatischen Verhältnissen in Astronauten-Kostümen mit ihrem Spielzeug auf dem Feld anzurücken. Sonst sieht man eine Menge Hundebesitzer* (oder Pflegehunde-Besitzerinnen), ein paar wenige Fahrradfahrer*, die die städtische Weite mit geduckter Haltung passieren. Es weht ein beißender Wind.

„Ach, ich spiele ja erst seit ca. sechs Jahren und habe technisch noch einen langen Weg vor mir. Die ganzen Cracks da am Paul-Linke-Ufer können ganz genau mit ihrem Wurf berechnen, wo die Kugel aufschlagen und welche Kugel eine andere in welchem Winkel an eine Weitere schlagen wird. Die haben so viele Tricks drauf, was das Spiel so Facetten-reich und unvorhersehbar macht.“
Ich nicke. Fröstelnd. Auch der Hund will ausnahmsweise mal weiter.
„Und warum ich dieses Spiel so schätze, es ist Klassen-übergreifend. Jeder kann es spielen: alle sind dabei.“
Naja, das sagt man ja auch über den Fussball, aber hier kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen, dass sich so manche/r Millionär/in unter das Volk am Ufer mischt. Aber wer weiß das schon.
„Und besonders spannend ist die psychologische Komponente: wer geht hier wie mit Sieg und Niederlage um. Da siehst Du die ganze Palette an menschlichen Abgründen innerhalb von Sekunden die Gesichter und Gemüter verändern. Alles kann vorbei sein, mit nur einem Wurf.“

Ich bin tatsächlich verblüfft. So viel Drama hätte ich bei all den Szenen beobachtenden Wartens um das Kugelspiel herum nicht vermutet.

Er schwingt die Kugel.
„Mein Ziel: Berliner Meister. Ü55.“
Ich wünsche viel Glück, froh, dass meine Eisfüße von dem kleinen Hündchen weiter gezogen werden.