Auf einer Bahnfahrt im ICE steigt eine junge Familie mit einem erschreckend faszinierenden Kind ein. Das geschätzt fünfjährige Mädchen ist in Begleitung ihrer ätherisch wehenden Eltern, zwei hochgewachsene Wesen in diesen Trenchcoats, deren Blicke indifferent über alles hinweg gehen, aber irgendwie nach innen – selbst wenn sie aus dem Fenster schauen.

Das Mädchen hört ab Fulda mit übergroßen Kopfhörern ein von der Mutter über ihr Handy eingestelltes Hörspiel und malt dabei Bilder aus. Als es vor Kassel in der bergigen Landschaft durch die vielen Tunnel zu den bekannten Unterbrechungen im Spotify-Sound kommt, kreischt das Mädchen erst nörgelnd, dann deutlich auf: „Das ist alles Deine Schuld, Mama. Du bist total beschissen!“

Für einen Moment herrscht Stille im sonst wuseligen Wagon. Einige räumlich nahe ZeugenInnen des Wortlauts halten hörbar die Luft an. Eine paar Sitze weiter entfernte Stimme spricht aus: „Boah, WER war das???“

Die Eltern des Mädchens geben erstaunlicherweise keinen Mucks von sich. Ein Buch fällt auf, es liegt vor ihnen auf dem Tisch: Gesund durch Meditation.

Etwas zeitversetzt bearbeitet der Vater das Kind, leise beschwörend. Das Mädchen wehrt sich: „Jaja… Ich habe mich doch entschuldigt!“ Sie entzieht die Hand, die ihr Vater gehalten hat.

Später küsst sie den Ärmel der Mutter. Diese reagiert nicht. Das Mädchen empört: „Ich habe Dir einen Kuss gegeben!“

Die Mutter nimmt das Buch zur Hand.