Es gibt seit Corona diese Konzertformate, wo ein/e MusikerIn für ein/e RezipientIn spielt. Eine gute Bekannte organisiert das hier in Berlin mit und fragte mich, ob ich am folgenden Tag so einem Konzert beiwohnen wollte – es wäre noch ein Slot übrig.

Ich war die Woche zuvor ziemlich angeschlagen gewesen und war sehr geneigt zu verneinen, andererseits hatte ich es schon die zwei Jahre an Corona-Ewigkeit vorgehabt, mir das anzuschauen. Alle schwärmten ja nur davon – selbst in der New York Times soll darüber berichtet worden sein, wie besonders und intim die Atmosphäre zwischen KünstlerIn und RezipientIn in Zeiten eingeschränkter Nähe sich ausgestaltete.

Nun bin ich also hin und wartete vor der Tür zum Konzertsaal, in dem für mich gespielt werden sollte: zehn Minuten ein Stück nur für mich allein. Eine Frau kam aus dem Termin vor mir heraus. Sie wurde kurz gefragt, wie es ihr gefallen habe und sie antwortete im eben gleichen Tenor, was ich zuvor von allen Seiten gehört hatte: dass es nahezu magisch sei, diese Erfahrung von Nähe, auch zu sich selbst, die durch die Musik zwischen KünstlerIn und ZuhörerIn entstand.

Nun bin ich also rein. Tja… als ich den Musiker auf der Bühne sah, wollte ich mich eigentlich umdrehen und gehen. Ich weiß nicht warum, doch irgendwas mochte ich nicht an ihm und hatte keine Lust auf diesen vermeintlich besonderen Kontakt. Aber wer A sagt, der sagt bekanntlich oft auch B. Es ging ja nur um zehn Minuten.

Ich saß also diesem mir unangenehmen Typen gegenüber. Dann hatte er das unangenehmste Instrument auf seinem Schoß liegen, das es für mich gibt. So ein seltsames metallisches Zupfding. Ich finde, damit kann man keine Musik machen, also keine, die ich als Musik zu interpretieren in der Lage bin. Das Ding mit seinem komplizierten Namen ist mir zu kompliziert, die erzeugten Töne sind zu kompliziert, ganz zu schweigen von den sogenannten Melodien. Na gut: zehn Minuten.

Der Abstand zwischen dem Musiker und mir war mir zu gering. Ich hatte das drängende Bedürfnis abzurücken. Ein hell strahlender Scheinwerfer war auf mich gerichtet und ließ den Zuschauerraum in verführerisches Dunkel abtauchen. Ich hätte viel lieber dort irgendwo gesessen. Aber nicht auf der Bühne mit und direkt vor ihm.

Der Musiker sah mich an. Aber so komisch von unten her, so wie ein ängstlicher Hund. Dabei hatte er so eine Prise Abschätzung in den Mundwinkeln, die nervös zuckten. Ich lächelte hilflos, war aber so abgegessen von seinem unterwürfigem Gestus, dass ich meinen Blick zur Seite in die Schemen des Konzertsaals schweifen ließ. Er sah meine demonstrative Abwehr, dass ich nicht dabei war und es auch nicht sein wollte. Vielleicht fragte er sich, warum ich überhaupt da war. Ich hätte am liebsten gesagt, dass ich von einer Bekannten dazu gedrängt worden sei.

Und dann fing er an. Puh. Also viel zu laut, ich wusste überhaupt nicht, wohin mit mir. Und dann natürlich diese Flut an Disharmonien, die das restliche Erkältungswasser in meinen Nebenhöhlen schmerzhaft zum Schwappen brachten. Es war schwer erträglich.

Zehn Minuten. Ich schwitzte. Ich schlug ein Bein über’s andere auf diesem viel zu hohen Stuhl für meine kurzen Beine. Ich schaute mich im Raum um, dieser war schön.

Es gab eine Passage in dem Stück, die war nett – ruhiger und sanfter. Hatte er sich das Stück selbst ausgedacht? Schon auch beachtlich in der Konsequenz.
Dann war es vorbei. Schneller als gedacht. Er nickte nur, wies mit einer Hand den Ausgang. Ich nickte ebenfalls. Man sollte danach nicht reden, um die besondere Stimmung nicht zu stören. Herrje.

Draußen empfingen mich die Organisatoren. Sie erwarteten diese schon gewohnten Lobeshymnen. Ich schob es höflich auf meine Erkältung. Der Musiker hatte sich bestimmt Mühe gegeben, soweit ich das beurteilen konnte. Ich sagte ihnen dennoch, dass ich all das bislang dazu Gehörte leider für mich nicht bestätigen konnte. Ich brauchte dann keinen Zettel ausfüllen, mit dem ich mich mit meinem Feedback in all die anderen phänomenalen Feedbacks hätte einreihen sollen.

Trotzdem ging die Dame noch mal rein, um für mich nach dem Titel des Stückes zu fragen, den der Musiker für mich gespielt hatte. Mein Einspruch, dass es das nicht bräuchte, war zu schwach. Ich hielt dann das Stück Papier in den Händen und las die mit schwarzen Druckbuchstaben leicht windigen Worte, die mich tatsächlich überraschten: From Okzident to Orient.

Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich vielleicht besser hingehört. Beim Anblick des Musikinstrumentes in den Händen des Künstlers hätte es der Zettel allein aber auch getan.