Eben war ich bei der Massage. Ich habe einen Flyer in einem Café gefunden, der einfach und gut gemacht war, mit einem sympathischen Foto des Masseurs. Die Terminierung war unkompliziert und somit stand eine gediegene Vorfreude im Raum.

Einen Tag vor dem besagten Termin rief der Masseur an, ob die Massage in seinem privaten Homestudio stattfinden könne. Da dieses näher bei mir liegt, hatte ich nichts dagegen.
Bei ihm angekommen, fällt mir eine virile Unruhe des Masseurs auf, die so auf dem Foto des Flyers nicht zu erkennen war. Der Blick driftet immer wieder ab und ich bin einen Moment unschlüssig, ob ich willkommen bin oder nicht.

Ein riesiges Katzentier betritt den engen Flur, was meine Aufmerksamkeit insofern bündelt, als dass ich nun den Eindruck habe – wo eine Katze Platz hat, da kann auch ein Mensch sein.
Dieses sehr fokussiert wirkende Tier verharrt in einer Stellung mit Blick auf eine geschlossene Tür in der Wohnung, hinter der unter anderem Babygeprabbel zu vernehmen ist.

„Oh“, sage ich und zeige auf die Erscheinung. „Die ist ja schön! Wie heißt sie?“
„Shiva“, antwortet mir der abgelenkt wirkende Mann, verwirrt, dass ich mich so sehr auf eine fremde Katze stürze (innerlich gebe ich ihm natürlich recht, Haustiere sind halt oftmals ein willkommenes Objekt für Verlegenheitsmomente, um eine Verortung zu ermöglichen).
„Shiva? Echt jetzt?“ Ich bemühe mich nicht allzu entsetzt zu schauen.
Oh Mann, meine Schublade geht auf, der Typ versinkt in den Tiefen Berliner Eso-Folkloristen (beim näheren Betrachten erinnert er mich tatsächlich etwas an Mahatma Gandhi).
Ich weiß nicht, warum in dieser Stadt voller Alternativ-Lebensplänen doch immer wieder diese Einheitsschienen gefahren werden.

Ein Mal stellte sich ein hellhäutiges und aschblondes Männlein auf hochdeutsch in einem Yoga-Kurs mit ‚Shantanya‘ vor. Ich war sehr beeindruckt von seinem Selbstverständnis beim Aussprechen solch exotisch anmutender und geklauter Laute. Der glatzköpfige Nachbar auf der Matte neben mir nickte anerkennend und murmelte: „Na klar… und ich bin Madonna.“

Auch der Vater eines Ex-Freundes zog mit neuer Frau in den spießigen Speckgürtel Berlins (sorry, aber wer legt sein Wohnzimmer mit  hochglänzenden weiß-anthrazitfarbenen Fliesen aus?).
Sie beide wünschten nach einer Reise in fernöstliche Gefilde fortan mit ihren neuen spirituellen Namen Abhaya (so etwas wie der Furchtlose) und sie mit Malati (wohl so etwas wie Mondlicht) angeredet zu werden.
Abgesehen davon, dass ich mir diese ungewohnten Namen nicht merken konnte, verwirrte mich der Umstand diese beiden aus Dresden stammenden Menschen mit Sanskrit-Namen anzusprechen sehr, so dass ich gar nichts mehr sprach bzw. als ich um etwas zu trinken bat, Gertrud und Dietmar ausplapperte.
Es schien ihnen nicht angenehm, an ihre namentliche Vergangenheit erinnert zu werden.

Dieses Bedürfnis, sich selbst und den umgebenden Dingen einen besonderen und/oder klangvollen Namen zu geben, kennen sicherlich viele. Vielerlei mehr oder weniger geglückte Namensgebungen von Mensch und Tier zeugen davon. Auch ich wollte gerne als kleines Mädchen „Diana“ wie die Prinzessin aus England heißen.
Eine Bekannte namens ‚Jacqueline‘, in den 70er Jahren in Chemnitz geboren und aufgewachsen, wurde gefragt, warum sie als Ostdeutsche einen französischen Namen tragen würde (obwohl man nach wie vor an die Frage des running gags denken muss, was sich an „Schackeline“ französisch anhört). Sie antwortete, dass Ostdeutsche ihren Kindern gerne Namen aus fremden Ländern und Kulturen gaben, um ihrer Sehnsucht zu reisen und andere Lebensweisen kennen zu lernen Ausdruck zu verleihen.
Ich weiß nicht nicht, ob diese Antwort repräsentativ ist, doch das Bedürfnis über eine Benennung eine bestimmte Qualität oder ein Lebensgefühl in den eigenen Umkreis zu holen bzw. darüber eine Aussage zu treffen, ist durchaus nachvollziehbar (so wie es sich auch in der Mode zeigt, seine Meinungen und Ansichten auf einem T-shirt vor sich her zu tragen).
Ein Bekannter, Erstgeborener, heißt z.B. ‚Murat‘ – was so viel wie „die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches“ bedeutet. Schöner geht ja kaum.

Seit ‚Hundert Jahre Einsamkeit‘ würde ich gerne meinen Sohn „Aureliano“ und nach der Studienzeit am OSI wollte ich eine womögliche Tochter ‚Palestina‘ nennen. Aber geben wir es zu, es wäre doch etwas zu viel des Guten.

Sprachwissenschaftler sagen, Sprache und damit ihre Worte finden Sinnhaftigkeit im Bezug zu ihrer Umgebung. Unsere Umwelt und ihre Dynamiken erschaffen sozusagen ihre Bezeichnungen aus sich selbst heraus und damit eine Wechselbeziehung zwischen Subjekt, Objekt, Zeit und Raum.
So ergeben sich wiederum aus exotischen Namensgebungen verbale Stolpersteine, deren Lautgebungen so gar nicht zu den Gegebenheiten vor Ort passen wollen (siehe tiefsinnige Sanskrit-Namen vor glänzenden Bodenfliesen in Klein-Machnow).

Ein zweiter Kater kommt nach der Behandlung in den Raum gestrichen.
„Oh, da ist ja noch einer.“ Sage ich erfreut. „Und wie heißt der?“
„Shakti.“ Antwortet der Behandler.
„Na klar…“ stöhne ich auf, „da hätte ich auch von selbst drauf kommen können.“
Ich frage lieber nicht nach dem Namen des Babys.

Der Titel muss natürlich um „… und meine Vorurteile“ ergänzt werden.