„My heart will go on“ – BVG-Version

Auch wenn man die Öffis zu vermeiden sucht bzw. ihre herausfordernden Protagonisten, kann man doch hin und wieder Situationen miterleben, die sich unverwandt wie funkelnde Schätze offenbaren.

Gestern Nacht in der U7 stieg an der Möckernbrücke ein Großmütterchen mit schwarzen Kopftuch, schwarz umrandeter Brille, einem Mikrophon und einem Verstärker zum hinterher ziehen ein. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sie sich zu mir noch unhörbaren Klängen anfing hin und her zu wiegen. Ich nahm einen Ohrstöpsel meiner Kopfhörer aus den Ohren und folgte erst misstrauisch, dann doch immer neugieriger dem sich ergebenden Schauspiel.

Normalerweise bewegt man sich als Zuschauer von U-Bahn-Künstlern in einer anstrengenden Gefühlsspanne zwischen Fremdschämen und Mitleid, dem man doch gerne hinter einer großen Zeitung oder in seinen Kopfhörern immer wieder zu entgehen versucht. Man scheitert ja oft genug daran, aber so manches Mal erlebt man dann doch Dinge, die einen reicher machen.

Es sind wohlbekannte Töne, die da aus der Box klingen, so bekannt, dass ich nicht mehr weiß, welchem Evergreen sie zuzuordnen sind. Doch dann beginnt sie zu singen, so klar und deutlich, zart und doch bodenständig, so dass ich mich nicht zwischen Gänsehaut und Tränen der Rührung entscheiden kann. Ich muss es auch gar nicht, die Furchtlosigkeit in ihrem Auftreten gebietet mir lediglich eine Position der Beschenkten. Die müden und aufgekratzten Menschen um mich herum fangen an zu lächeln, zu strahlen, ein junges Mädchen breitet ihre Arme zu den Seiten aus, als würde sie fliegen. Kate und Leo.

Ein sogenannter harter Junge, der vor dem Erscheinen von „Celine“ böse Blicke durch den Wagon geschossen hat, schaut weiterhin mürrisch, entsetzt, dann weicht sich sein Gesicht auf, tiefe Grübchen und Falten der helleren Gefühle umspannen seine Augen. Gar ein Leuchten ist zu sehen. Es hört nicht auf.

Würde ich die Augen schließen, so sänge da eine junge, ruhige Frau, die sich ihrer sicher ist, die weiß, was sie kann, die auf einer großen Bühne die Massen zu ihren Füßen mit ihrer Stimme beglückt. Selbst als sie das Mikro auf dem Verstärker liegen lässt, durch den Gang geht, weiter singend, hört diese Kraft nicht auf. Sie hält uns allen einen abgegriffenen Pappbecher hin, die Münzen sammeln sich schnell. Ohne überfreundliches Lächeln, ohne jegliche demütige Haltung nimmt sie unsere Bekundungen entgegen, als wäre unser Dank eine natürliche Gegebenheit.

Sie steigt an der Gneisenau aus. Das Mädchen auf dem Vierer neben mir spannt noch ein Mal ihre Arme aus, lachend singt sie mit ihren Freundinnen: „And my heart will go on…“

 

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