Abgesehen davon, dass der Sommer 2018 mit großer Dürre und den hässlichen Ausschreitungen in Chemnitz in die jüngere Geschichte eingehen wird, war und ist mein Sommer ein Sommer der Tiere geworden.

In unserem Familienurlaub in Schweden hatte uns in einer heftigen Sturmnacht eine freilaufende Katze ein blutiges Junges in die Küche gelegt. Da es am Abend zuvor noch sehr heiß gewesen war, ließen wir die Tür zum Hof auf – im Nachhinein nur ein kurzer Moment des Glücks für die Katzenmutter und das Baby. In jenem Fall erkannten wir nicht, dass das Junge ein Frühchen war und all die hinzugezogenen Meinungen der Nachbarn – eingesessenen Landbewohnern – uns davon abrieten irgendwas zum Überleben des zu früh Geborenen beizutragen, es würde nichts bringen.

Nun sind wir Städter es nicht gewohnt, die Natur Natur sein zu lassen und so starteten wir ein alle Gruppenzugehörigen forderndes Programm mit Fütterung per Flasche und Kräfte zehrenden Nachtschichten, damit das doch ordentlich schreiende Katzenbaby das bekommen könnte, was es vermeintlich zu brauchen schien.

Ein jedes Mal, wenn ich die viel zu groß erscheinende Flasche diesem kleinen Mäulchen anzulegen versuchte und die rhythmisch ins Leere greifenden Tatzen des Babies sah, dachte ich, das ist hier nicht stimmig, das kann hier nicht lange gut gehen. Und doch, was wäre die Alternative gewesen? Die Katzenmama schien völlig desinteressiert; sie tigerte zwar des Nachts um das Haus und lag morgens neben der Kiste, in die wir das Junge gelegt hatten, reagierte aber null auf die hungrigen Rufe des Kleinen.

Nach ein paar Tagen gelang es mir, die offensichtlich ausgehungerte und deutlich zu junge Katzenmutter mit Futter anzulocken und in die Küche einzusperren. Satt gegessen legte sie sich schließlich auf einen Stuhl und mit klopfendem Herzen legte ich ihr diesen kleinen Körper ihres Babies an. Es trank sofort, die Tatzen griffen selbstverständlich in den weichen Katzenbauch und fanden, was sie suchten. Ich konnte mein Glück nicht lange fassen, irritiert bemerkte ich sich wölbende Bewegungen des ungewöhnlich dicken Bauches der sehr zarten Katzenmama. Sie musste noch immer schwanger sein! Und so kam es dann ein paar Tage später – ich hörte weiteres Katzenbabygeschrei unter der Terrasse und entdeckte erneut eine Katzenmama auf der Terrasse oben drüber, die sich nicht darum scherte.
So, nun greifen wir aber nicht ein! Das beschlossen wir in unserer entnervten Gruppe, noch ein Baby aus dem ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen reißen – nicht mit uns!
Nachts hob ich die Dielen der Terrasse im Dunkeln an, beleuchtet mit der Handy-Taschenlampe. Ich hatte „Nachtwache“ und hielt das Rufen des Neugeborenen nicht mehr aus. Ich musste ja eh das eine alle zwei Stunden füttern, auf ein Weiteres kam es auch nicht mehr drauf an.

Ich hielt dem erstaunlich kräftigen zweiten Baby die halb volle Flasche hin und mit einem ordentlichen Zug entleerte diese das Neue komplett. Ich staunte nicht schlecht. Dem Frühchen mussten wir immer wieder den Nuckel in das viel zu kleine Mündchen stopfen, bis dieses endlich andockte und dann ein paar Tropfen zu sich nahm.
Zusammen gerollt schliefen die beiden Jungen ein, das Neue war fast doppelt so dick wie unser Frühchen und ich hatte Sorge, dass es von seinem Brüderchen erdrückt werden könnte. Aber sollte die Natur doch kommen und sich ihre Kinder holen, ich war mittlerweile zu müde, um mich um Details zu kümmern. Und in zwei Stunden würde der Krampf wieder von vorne los gehen.

Am nächsten Morgen saß die Katzenmama vor der Tür. Weniger motiviert ihren mütterlichen Verpflichtungen nachzukommen, als vielmehr hungrig und apathisch. Ich stellte ihr das mittlerweile eifrig gekaufte Katzenfutter hin, was sie in einem Affentempo hinunter schlang, nicht ohne mich immer wieder argwöhnisch und ängstlich zu beobachten. Kein Blick ging zu der Box mit den mittlerweile zwei jammernden Katzenbabies hin, nur zu mir, ihrer Feindin und zwangsläufigen Gönnerin.

Sie legte sich tatsächlich wieder auf den von ihr bereits auserkorenen Stuhl und probeweise legte ich ihr die beiden in Größe und Dichte markant unterschiedlichen Katzenbabykörper an. Sie ließ mich und die hungrigen Münder gewähren, leckte sie sogar immer wieder kraftvoll ab und nagte an ihren Nabelschnurresten. Ich traute mich kaum zu atmen, setzte mich daneben, umarmte die Drei halb, damit nicht eine/s von ihnen vom Stuhl plumpste.

Wir hoben eine Schublade aus einer Kommode im Haus und legten die Drei hinein. Beide Babies scharrten sich um die Mutterzitzen. Die Mutter lag ruhig auf der Seite in ihrem sicheren Verschlag, wir füllten ihr noch Teller und Schälchen mit Tiernahrung, damit sie sich etwas erholen konnte.

Das erste Mal seit Tagen fanden wir uns alle entspannt und erleichtert zum Frühstück ein, der Lauf der Dinge hatte wieder übernommen – ein schöner Strandtag sollte es werden, ohne Sorgen und Gedanken, wie es mit den Katzenbabies weiter gehen würde, wenn wir wieder nach Berlin abfuhren.

Am Abend kamen wir gut gelaunt von langen Sonnenstunden am herrlichen Sandstrand mit hohem Wellengang wieder. Ich ging zur Schublade, um nach unseren Schützlingen zu sehen. Unser Frühchen lag am Rand und bewegte sich nicht mehr. Das Zweitgeborene und die Katzenmama kauerten gleichmütig beieinander, als wäre es nie anders gewesen.

Es ist immer noch schwer. Zu akzeptieren, dass wir den Geschehnissen der Natur mit unserem Verstand nicht immer folgen können. Unser Frühchen war zu schwach. Zu schwach für eine viel zu junge Katzenmama, die das Stärkere gewähren ließ, das Schwächere aber nicht unterstützen konnte. Das ist nicht der Plan.

Die kleine Plastikflasche aus dem Tiernahrungsfachgeschäft mit der aufgekochten Aufzuchtmilch war ein künstliches Aufbegehren gegen diese stillen Gesetze, dem ein Tag am Strand dazwischen kam.

Wir begruben es am Ende des Gartens. Ein bunt bemalter Stein mit seinem Namen drauf. Blumen lagen auf dem kleinen Flecken aufgeworfener Erde. Und Stefan spielte „Somewhere over the Rainbow“ auf seiner Ukulele. Es war so feierlich wie traurig. Und irgendwann mit dem schiefen Gesang dann auch wieder ein bisschen lustig.