Gestern Vormittag saß ich in einem Café und habe versucht Dinge an meinem Laptop zu erledigen, für die ich oftmals zu Hause keine Ruhe habe: so unsexy Sachen wie formale Emails beantworten, Rechnungen schreiben, Listen aktualisieren, etc.

Es tut gut dabei immer mal wieder aufzublicken und anderen Menschen beim Essen, Trinken, Zeitung lesen oder einfach nur da sitzen zuzusehen – der Platz liegt vor mir wie eine Art bewegliches Stilleben.

Ein älterer Mann schlurft vorbei und bleibt unverwandt stehen. „Sach‘ ma, mich würde mal interessieren, was macht Ihr da eigentlich alle immer hinter Eurem Bildschirm? Ich sehe Euch ständig mit so ’nem Ding vor der Birne. Was treibt Ihr da?“

Wenn ich mich so auf dem gar nicht so kleinen Platz mit seinen drei Cafés umblicke, bin ich gerade die einzige mit einem Laptop auf dem Tisch. „Ich weiß nicht, was die anderen machen, ich gehe gerne raus, wenn ich mal für zwei Stunden konzentriert Dinge machen muss, von denen ich mich zu Hause immer wieder ablenken kann. Hier gibt es so eine Art soziale Kontrolle… Ich trinke Kaffee und habe mal nur ein-zwei Sachen vor der Nase. Zu Hause wird dann noch telefoniert, abgewaschen, geputzt oder einfach angesichts all der Möglichkeiten gar nichts mehr gemacht. Also ich denke, da musst Du noch ein paar andere fragen, damit Du ein genaueres Bild bekommst.“

„Soso, aha, naja, kann sein…“ nuschelt mein Interviewer in seinen weißen Bart. „Aber Du, die Tochter meiner Hauswartsfrau, die hängt den ganzen Tag vor diesem Ding ab und Du, die guckt den janzen Tag Pornos und so Sex-Seiten an! Und dann isse nachts unterwegs und kommt morgens jrün und blau jeschlajen wieder nach Hause… das ist doch schlimm so was! Krank ist doch so was!“ Er schüttelt den Kopf.

„Weeßte, ich bin nen alt 68er, ick bin mit de Frooen mitjeloofen, als es um die Gleichberechtijung jing, die Plakate mit dem Helmut Kohl druff ‚Meen Booch jehört mir!‚ und so, ick habe dafür jekämpft und dann sehe ick all diese jungen Mädels, wie die ihre Freiheit heute so weg schmeißen…“ Er hebt seinen rechten Zeigefinger. „Und ick glaube, diese drecks-neuen Medien sind Schuld daran. Alle nur noch in dieser Scheinrealität unnerwegs, keine geht mehr auf die Straße – ohne so nen Handy vor der Nase. Das eine Mal ist eene mit so ’nem Ding fast vor ’nen Dixie-Klo jeloofen. Ick hab noch jerufen ‚Vorsicht! Du rennst gegen ’nen stinkendes Klo! Die hätte das jar nich‘ mitjekriegt.“
„Hätteste sie mal nicht gewarnt“, sage ich. „Die wäre jetzt geheilt.“
„Nee, dit kann ich nich! Dann muss ich bei ’nem Unfall auch noch uff die Bullen warten und den Zeugen spielen, neenee, keen Bedarf, Du!“

Er redet weiter und weiter, von oben auf mich runter, all jene Geschichten, die irgendwie lustig und interessant sind und doch nicht aus der seinen Welt heraus zu kommen scheinen. Irgendwann schaut er nachdenklich über den Platz. So wie er da steht, mit einer mühsam zusammen gehaltenen Hose um die Taille, das verblichene rosafarbene T-Shirt hinein gestopft, so ein bisschen zusammen gesunken in den Schultern und Knien, wirkt er auf diesem kleinen Flecken Kreuzkölln wie jemand, der neben einem (durch-) drehenden Karussell auf die immer schneller werdenden Bewegungen und Lichter blickt: anfangs vielleicht noch interessiert, irgendwann irritiert und dann daran vorbei.
Er nickt langsam: „Soso, dann weeß ick ja jetzt Bescheid, was Ihr da hinter Eurem Computer alle treibt… jeder macht einfach nur sein Ding.“