Heute habe ich mir den Besen meines Nachbarn ausgeliehen, um das Laub vor unserer Praxis wegzukehren. Er übergibt ihn mir feierlich: „Schau mal, das sind richtige Borsten. Nicht so ein Plastik-Scheiß.“ Was sind ‚richtige Borsten‘, will ich ihn fragen. Ich unterlasse es jedoch lieber, der Besen wird dann bestimmt nicht mehr vegan sein 😉

Es ist nur ein kleines Stück Weg, aber dennoch ist Fegen anstrengender als gedacht und bei mir kommen keineswegs so meditative Gefühle auf wie Beppo Straßenkehrer aus Momo es beschreibt.

Mein Nachbar steht neben mir. „Du machst das völlig falsch. Ich habe die Jungs von der BSR beobachtet. Du musst den Besen gerade halten. Das ist eine ganz bestimmte Technik. Dann ist es ganz leicht.“ Er nimmt mir den Besen weg und führt in frontal nach vorne. „Ganz sanft muss man das machen. Ohne Druck.“ Es sieht tatsächlich recht entspannt aus. Ich versuche es ihm nachzutun.

„Nein, doch nicht so!“ Schimpft er. „Du darfst nicht drücken!

„Ich drücke doch gar nicht!“

„Doch, Du machst das viel zu doll. Du willst zu viel! Du darfst nichts erreichen wollen, dann wird es ganz einfach. Schau, so geht das!“ Erneut schiebt er nahezu zärtlich den Besen von sich weg Richtung Bordsteinkante. „Du musst den Stiel halten wie einen Billardqueue. Ganz leicht mit der vorderen Hand zwischen Daumen und Zeigefinger und mit der hinteren Hand schiebst Du rhythmisch nach vorne.“

Es sieht beeindruckend locker aus. Ein kleines Schauspiel, das Lust darauf macht, es ihm gleichzutun.

Ich greife mir den Besen und halte ihn wie beim Billard zwischen den Fingern, aber jene Anmut ist plötzlich konsequent erloschen. Die Borsten des Besens schaben über das Gestein.

„Also Du kannst das nicht,“ ranzt er mich an. „Fegen mit einem Besen ist wie Musik. Du musst den Besen so führen, wie man einen Bogen auf ein Streichinstrument setzt oder an einer Gitarrensaite zupft. Nicht so stumpf kratzen!“

Ich probiere es erneut. Auch wenn ich es gefühlt genauso mache, wie ich es eben beim Meister gesehen habe, das Kratzen ist nicht zu überhören.

„Also ich bin Musiker. Man muss ein Gefühl für die Dinge entwickeln, dann geht alles ganz von allein.“

Ich atme tief ein. Ich atme tief aus. Ich glaube, ich google mal nach einem Laubbläser.

P.S. Jene wunderbar lehrvollen Momente erlebe ich mit ihm übrigens auch, wenn ich das Schaufenster (versuche) zu putzen, etwas anbringen will oder unsere Schilder von Graffiti säubern muss. Er schlägt stets jammernd die Hände über dem Kopf zusammen, kann alles (eindeutig) besser und erledigt die Dinge dann meistens lieber auch allein…