Vorhin beim querquatschen bei meinem Billo-Thai Kreuzberg Ecke Neukölln: ein Typ am Nebentisch erzählt, dass er aus Hamburg komme, dort geboren und jetzt seit ein paar Monaten am Kotti wohnt – laut da, aber er fühle sich sehr wohl. Obwohl… teuer sei es! Er meine die Mieten und drei Monate habe er gebraucht, um überhaupt eine Wohnung zu finden. Klar, das Essen und so sei hier viel günstiger als in Hamburg. Er lächelt.

Er arbeitet in der Pflege, ist mit einem Bike mit einem Korb unterwegs, an dem ein Schild mit dem Namen eines Pflegedienstes prangt. Ich erzähle ihm von meinem Jahr in der häuslichen Pflege in Neukölln und dass es zwar unglaublich schöne Momente mit den Menschen gab, ich jedoch diese teilweise schwer herunter gekommen Wohnungen, in die man so musste, nicht ertragen konnte.

Er nickt. Ja, das sei hier in Berlin ne andere Nummer, das habe er in Hamburg so nicht erlebt. Er müsse teils die Tabletten im Hausflur stellen, die Wohnungen würde einfach zu arg stinken. Und eine Klientin habe so viele Fruchtfliegen in ihrer Wohnung, dass er Angst habe, sie beim blanken Atmen in die Nase oder beim Sprechen in den Mund zu bekommen.

Ich schlucke. „Und so was gibt es in Hamburg nicht?“ Frage ich.
Er überlegt und schüttelt den Kopf. „Nein. Das ist mir da nicht passiert.“
Er nimmt ein paar Löffel von seiner Phô.
„Aber trotzdem ist der Job okay und ich bin gerne hier.“
„Ja,“ sage ich wie immer, wenn es um den Vergleich Hamburg – Berlin geht, „ist schon entspannt hier.“
„Absolut,“ er nickt eifrig. „Man kann wirklich behaupten, dass es in Hamburger Gesprächen zu 90% um Geld geht. Und hier? Höchstens darum, dass hier niemand Kohle hat. Und das ist okay, Mann! So sollte es sein!“
Ich lache natürlich. Ja, von außen betrachtet wirkt das immer entspannt.
„Und hier kann ich mit Jogginghose rumlaufen! In Hamburg musst Du Dir fünf Mal überlegen, was Du anziehst bevor Du raus gehst. Hier gehe ich in meinen Schlafklamotten mal schnell runter zu Rossmann. Juckt das jemanden? Es interessiert hier keinen!“
„Genau! Nur die inneren Werte zählen!“ Spotte ich ein wenig. Natürlich liebe ich Berlin dafür, dass wir hier alle im Schlafi rumlaufen können und niemand nimmt wahr, dass es überhaupt Dein Nachtzeug ist. Und ich komme schon ganz schön ins Schwitzen, wenn ich mal in einer andere Stadt fahre – oh Gott! Da muss man sich ja ordentlich anziehen! Das wirkt plötzlich so ungewohnt und anstrengend.

„Natürlich ist Hamburg auch schön, alles hübsch und nett dort und es tut auch gut, mal wieder eine saubere U- oder S-Bahn zu sehen, aber ansonsten zählt da nur, was Du machst und was Du hast. Allein, dass wir beide hier sitzen, uns nicht kennen und einfach so quatschen, das macht der Hamburger nicht.“ Sagt er.
„Echt nicht? Ich finde die auch ganz nett da… Aber ich kenne kaum echte Hamburger. Oder die sind dann halt hier…“
„Na, stimmt schon. Die sind am Anfang ein bisschen verschlossen, aber wenn Du die ein Mal für Dich gewonnen hast, dann sind das Freundschaften für’s Leben. Hier sind sie auch unfreundlich, aber das ist ehrlich. Die Unfreundlichen haben keinen Bock auf Dich und das zeigen sie Dir auch. Mit den Netten hat man ne nette Zeit. Aber es ist dann halt auch nur für den Moment…“
Ich nicke. „Ja, da ist sicherlich was Wahres dran. In Berlin ist man ein bisschen wie vogelfrei – man kann hier alles tun und lassen, es juckt aber auch keinen wenn man an dieser Freiheit scheitert. Ist dann halt so… “

„Hmm…“ Sagt er nachdenklich. „Das haben mir meine Leute gesagt bevor ich hierher gekommen bin. Pass auf, dass Du Dich nicht in Berlin verlierst… wenn man am Boden liegt, interessiert das hier keinen. In Hamburg kommt nach
2 Minuten die Feuerwehr. Am-Boden-liegen geht da nicht. Hier hast Du im besten Fall Glück, dass Dich nach ein paar Stunden jemand mit dem Fuß anstupst und guckt, ob Du überhaupt noch atmest…“
Er zuckt mit den Schultern. „Ich riskier’s!“
„Und was am Geilsten ist…“, erzählt er weiter, „die Leute in Hamburg, mit denen Du absolut nichts zu tun haben willst, die Superprolls mit ihren fetten Karren und Machosprüchen, die sind dort unterste Kaste und hier sind sie super cool! Das ist hier nahezu Kult, vielleicht auch eine Form von Kultur…“
Er schaut einen Moment schräg über den wuseligen Zickenplatz. Autokolonnen schieben sich an uns vorbei, kleine Mädchen kichern und lassen ihren Müll im Vorbeigehen auf den Gehweg fallen, der zweite um Geld Bittende tritt innerhalb von 10 Minuten an uns heran, alles eingerahmt in den Lärm gefühlt jahrelanger Baustellen.
„Ich hänge dann mit denen am Späti ab, das ist total schön,“ fährt er fort, „und die sagen dann zu mir: ‚Ey Dicka, warum sprichst Du so komisches Deutsch, Mann?‘
Und ich sage denen dann: ‚Ey Mann, Dicka, Mann! Das ist hochdeutsch, Mann!“