Jetzt ist es aber mal langsam gut. Ich habe einen letzten Termin gemacht für die obligatorische Nachuntersuchung ca. 10 Tage nach Eingriff. Ich habe keine Lust mehr übermäßig Zeit in Neuköllner Tierarztpraxen zu verbringen. Und wenn ich von mir spreche, dann wohl auch für das Katzentier.

„9 Uhr gleich.“ Sage ich am Telefon. Alles verläuft zu meiner Zufriedenheit. Die Arzthelferin kann sich selbstredend an mich erinnern.
„Ah, ja natürlich. Ich weiß, wer Sie sind. Ja, dann bringen wir es mal schnell hinter uns.“ Sie klingt nett.

Kurz vor 9 Uhr bin ich da. Sobald ich durch die klapprige Tür trete, beschleicht mich wieder dieses ungute Gefühl, dass alles ganz anders kommen kann als gedacht.

Es ist erstaunlich trubelig in der Weite unvorhandener Raumausstattung -Hundealarm!
Ein junger Mann mit einem Köterchen unbekannter Mischung, eine andere Dame mit einem umher wieselnden Dackel und… Stimmen aus dem offenen Behandlungszimmer, die ich nicht zuordnen kann.
Ich höre genauer hin: da hält jemand einen Vortrag… auf sächsisch!
Monotone, mir unbekannte Wortfetzen noch nie gehörter Zusammenhänge scheinen unsere Arzthelferin im Raum nebenan in Beschlag zu nehmen. Diese wirkt ähnlich ungeduldig wie die um mich herum wartende Mannschaft. „Hmph… ja… hmm… ja, genau.“ Dringt es immer wieder zu uns heraus.
Ich sehe sie regelrecht hinter der Wand von einem Fuß auf den anderen treten.
Es ist bereits 9:03h.
Sie wird ja wohl noch wissen, dass ich die erste hier bin – mit Termin! Auch wenn schon zwei andere mit mir warten.
Die Hunde und ihre Halter werden auch unruhig neben mir.

Eine junge Dame mit Katzenkorb kommt herein und stellt sich mangels Sitzmöglichkeiten an eine Wand, den Korb zwischen ihren Füßen (es gibt mittlerweile zwei unbehandelte Holzbänke, auf die sich ungünstigerweise nur je zwei Klienten hinsetzen, da man sonst mit recht fremden Menschen zu dritt schon sehr nah beieinander wäre; also auf den 2. Blick leider keine echte Verbesserung zu den vier Plastikstühlen vorher).
Der umher schnüffelnde Dackel nähert sich ihr mit langer Leine immer näher und näher. Gebannt betrachte ich das Schauspiel. Seine Halterin lächelt milde … oder auch leicht debil?
Die junge Katzenhalterin funkelt sie böse an. Doch die Dackelmutti scheint das gar nicht zu bemerken, sondern beobachtet interessiert, wie ihr kurzer Vierbeiner eifrig die Fährte aufnimmt und neugierig an der Katzenkorbklappe schnuppert.
„Könnten Sie gefälligst Ihren Hund zurück nehmen?!!“ Faucht die Katzendame.
Die Dackelfrau reagiert sichtbar unvorbereitet. Sie zieht zaghaft an der Leine ohne wirklich überzeugt zu sein. „Tsss… na gut.“ Antwortet sie gedehnt, rollt ihre großen wässrigen Augen und dreht sich demonstrativ gereizt vom Geschehen weg.

Es ist mittlerweile 9:15 Uhr. In dem Behandlungsraum wird immer noch gesächselt! Es ist unfassbar! Wir trommeln mittlerweile alle mit Fingernägeln auf Katzenkörbe.
Endlich verabschiedende Worthülsen: zwei Männer mit dunklen Koffern kommen um die Ecke, unsere Tierarzthelferin wieselt hektisch hinter ihnen her. Sie lächeln erstaunt ob des vollen Warteraums, nicken freundlich in die Runde und verlassen endlich die Bühne. Pharmavertreter! Anscheinend auch in der Veterinärmedizin penetrant und unumgänglich.

Die Assistentin kommt schnell auf mich zu und beugt sich vertraulich zu mir herunter: „Ich weiß, Sie haben jetzt den Termin, aber es ist ein Notfall hier, der Hund hat was Giftiges gegessen. Können wir ihn vorziehen?“
Das ist natürlich keine Frage, also lehne ich mich auf meinem ergatterten Platz zurück und umarme meinen Katzenkorb.

Die Tür geht auf und eine Gruppe aus Menschen kommt herein: drei an der Zahl! Ein Vater mittleren und seine beiden Kinder im Teenageralter. Der Junge hält einen Welpen im Arm.
Das nenne ich mal einen prächtigen Familienausflug!
Mir ist völlig schleierhaft, warum man zu dritt zum Tierarzt gehen muss. Als ich jedoch beobachte, dass sie sich alle drei darum rangeln, das kleine Tier halten und tragen zu dürfen, wird mir der Grund klarer. Der Vater hat schließlich die Schlacht gewonnen und trägt stolz wippend das Hundebaby an sich gedrückt auf dem Arm. Er lächelt glücklich.
„Na,“ sage ich zu ihm. „Das scheint ja das neue Baby in der Familie zu sein.“
Er lacht, schaut stolz auf das kleine Plüschtier, küsst es auf den Kopf und nickt. „Ja, absolut. Der Mittelpunkt unseres Familienlebens. Es dreht sich alles gerade nur um ihn“
Die Kids haben sich derweil mit ihren Handys neben mich gesetzt. Ich rücke etwas zur Seite, damit auch er Platz nehmen kann.
Er quetscht sich vorsichtig neben mich, doch sein Sohn ergreift die Chance und zieht ihm das Hundebaby vom Schoß.
Er wirkt plötzlich ein bisschen verloren neben mir so mit leeren Händen und schaut etwas verlegen in den meinen Korb hinein: „Und was haben Sie da?“
„Den schönsten Kater der Welt!“ Sage ich heiter.
Ich lasse ihn in den Korb spähen. Man kann gar nichts sehen, das Katertier hat sich in die dunkelste und hinterste Ecke gequetscht, so als wäre er gar nicht da. Nur ein dunkler Haufen Fell lugt ungenau hervor.
Heftig nickend lächelt er mich von der Seite an: „Sehr schön! Wirklich. Sehr süß!“

Mannmannmann, ich fasse es nicht… diese bedingungslose Zugewandtheit hier in diesem Neuköllner Tierarzt-Warteraum ist fürchterlich nervig und womöglich auch noch ansteckend  – wie ein Virus. Von dem man sich bitte nie wieder erholt.