Um in die neue Wohnung meiner Neffen zu gelangen, muss man in einen alten klapprigen Fahrstuhl steigen. Es geht hinauf in den 13. Stock in einer amüsant angeransten Platte in Mitte mit einer Hammer-mäßigen Aussicht.

Im Aufzug warten bereits zwei ältere Damen, die ich für Bewohnerinnen des großen Hauses halte. „Oh,“ sage ich, „passen wir hier alle denn rein?“ Meine beiden Neffen und ich zögern kurz. Doch die Damen nicken uns freundlich zu und rücken etwas zur Seite. „Natürlich, hier ist genug Platz.“

Ich sehe, dass die beiden Damen auf die 14′ gedrückt haben, das höchste Stockwerk. „Ach, Sie wohnen ganz oben? Das muss auch sehr schön sein.“
„Nein,“ kommt es etwas zögerlich zurück. „Wir wohnen nicht hier.“ Eine kurze Pause folgt.
„Sie besuchen hier jemanden?“ Frage ich. Die eine Dame schaut leicht zu Boden, so als ob sie sich sammeln würde. Dann sieht sie mich ruhig an. „Nicht ganz, wir bieten Menschen Hilfe an.“ Mein Blick gleitet an der undefinierbaren Farbe ihres Anoraks entlang, zu der Krücke an ihrer linken Seite, auf die sie sich stützen muss, zurück zu ihrem stoischen Blick aus gräulichen Augen. Der Fahrstuhl fühlt sich mit einem Mal sehr eng an.

„Wir bieten Menschen in Trauer Unterstützung an.“ Sie sieht mich durchdringend an. „Könnte das interessant für Sie sein?“ Es ist eine eigenartig offene Frage und doch bin ich überrascht von ihrer Gleichmütigkeit. Die Dame wirkt beruhigend routiniert. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich so mancher dadurch angesprochen fühlt.
„Wir gehen zu den Menschen und hören Ihnen zu. Haben Sie jemanden zum Reden? Wir können Ihnen auch gerne Hefte mit Texten aus der Bibel mitgeben.“
„Oh danke,“ sage ich schnell und schaue auf die Anzeige des Fahrstuhls. Der 13. Stock ist gerade verdammt weit oben. „Ich kenne die Bibel und habe da meine eigenen Wege.“

„Verstehe,“ sagt die Dame mit der Krücke. Sie scheint uns hinterher zu rücken, als die Tür zu unserem Stockwerk aufgeht. „Wo wohnen Sie denn, damit wir nicht bei Ihnen noch mal klingeln?“
„Da hinten,“ sage ich ungenau.
„Sollen wir es Ihnen zeigen?“ Fragen meine Jungs. „Nein!“ Rufe ich etwas zu laut und sicherlich auch etwas zu schnell. Ich ziehe die Kids an ihren Rucksäcken eilig in den Hausflur.
„Warum denn nicht?“ Fragen sie mich irritiert, als der Fahrstuhl sich wieder schließt.
„Weil… weil diese Frauen einen Knall haben,“ sage ich etwas überfordert.
„Warum haben die einen Knall?“ Fragt mich der Kleine. Ich fange an zu stottern, ich merke, ich habe überhaupt keine Ahnung von den Jehovas. „Die gehören zu einer Sekte,“ sage ich abwehrend, als würde das Kindern bereits reichen.
„Was ist eine Sekte?“ Kommt es natürlich prompt zurück. Ich seufze.
„Das ist so eine Glaubensgemeinschaft, die so ganz krude Ideen haben, wie die Menschen zu leben haben und wie nicht. Das Gefährliche daran ist, dass sie Menschen dafür verurteilen, wenn sie nicht so leben, wie sie selbst. Da muss man aufpassen.“
Ich merke an den Gesichtern meiner Neffen, dass das nicht den Knall erklärt. „Außerdem feiern die kein Weihnachten und es gibt keine Geschenke. Auch nicht zum Geburtstag. Da seht Ihr!“ Füge ich schnell hinzu. Ich weiß gar nicht, ob das so genau stimmt, aber die Kids wirken überzeugt.