Als es noch offline-Yoga gab, also damals vor 2020, da war ich mal in einer Klasse, die von einem sehr ungehaltenen jungen Burschen gegeben wurde. Er war (und ist es bestimmt auch heute noch) ein kreativer, engagierter Yogi, welcher durch einen strukturierten und lebendigen Unterrichtsstil auffiel.
Anfangs mochte ich ihn nicht wegen seinem gestelzten Hipster-Neukölln-Style-wir-sagen-alles-auf-Englisch-Gesülze. Aber irgendwann wird man dagegen immun. Traurig eigentlich. Schlimmer noch: man macht irgendwann mit. Widerstand ist genauso peinlich.
Jedenfalls war er an diesem Tag echt schlecht drauf (er hatte wohl Ärger mit seinem Partner, wie mir eine Bekannte später erzählte) und das eingangs zusammen gesungene Mantra „Om mani padme hum“, zu welchem er die obligatorischen Textstellen vorher ausgab, erläuterte er folgendermaßen: „Dieses Mantra hat keine Bedeutung. Ihr könnt das einfach so singen, da gibt es nichts zu verstehen. Und falls Euch doch die Bedeutung interessieren sollte, dann googlet es später!“
Ich weiß nicht, ob jemand außer mir im Raum ähnlich verblüfft war. Wer schon ein paar Mal diese Rituale des Mantren-Singen mitgemacht hat, weiß, dass es keine Textstellen im Yoga gibt, die ohne tieferen Sinn bzw. Wirkung existieren. Aber ich fand seine trotzige Erklärung trotzdem erfrischend un-yogisch.
Wer es tatsächlich googlet – es heißt nichts Geringeres als „Oh du Juwel in der Lotusblüte“ und ist das universelle Mantra der Liebe und des Mitgefühls. Vielleicht war das an jenem Tag einfach nicht sein Ding.
Dieses Mantra ist eins meiner Lieblingsstücke – und immer wenn ich es jetzt in diesem denkwürdigen online- (Yoga-) Jahr höre, muss ich an jene vergangenen Zeiten denken.