Die Demenz meines alten Nachbarn ist deutlich fortschreitend. Er lebt eigentlich nur noch zwischen 1935 und 1975 (alles VOR meiner Zeit! Um das kurz zu betonen): seiner Geburt und seine Anfangszeit in Berlin. Er stammt aus Magdeburg, was er u.a. in einer Dauerschleife erzählt. Abgesehen davon, dass er immer wieder fragt, was für ein Tag heute ist, gibt er ein jedes Mal wenn er sich die Stufen hinab und hinauf bemüht die Geschichte von einer Wohnung im 3. Stock als Untermieter in Charlottenburg bei einer Wirtin mit einer Tochter („ein hässliches Weib“) wieder: „Stell Dir mal vor, drei Treppen – das würde ich heute gar nicht mehr schaffen!“

Es kommen jedoch manchmal auch neue Dialoge hinzu:

Er: „Am 17. Juni 1953 gab es den Volksaufstand der DDR. Wusstest Du das?“
Ich: „Äh, ich habe davon gehört. Aber ich habe es wieder vergessen.“
Er: „Du hast es vergessen? Wie kann man das vergessen?“ (Ausgerechnet…)
Ich: „Keine Ahnung. Ich habe mir das nicht merken können.“ (Ist Faulheit und Ignoranz schon ein Vorläufer der Demenz?)
Er: „Du hast da noch nicht gelebt?“
Ich: „Nein.“
Er: „Wieso nicht?“
Ich: „Ich weiß es nicht.“
Er: „Du weißt es nicht?“
Ich: „Nein, keine Ahnung, warum ich da noch nicht gelebt habe.“
Er: „Wieso weißt Du denn nicht, warum Du da noch nicht gelebt hast?
Ich: „Woher soll ich denn wissen, warum ich da noch nicht gelebt habe?“
Er: „Hm.“
Ich: „Hm.“
Er schaut mich an. Ich zucke mit den Schultern.
Wir lachen.