Ich musste in der letzten zwei Wochen an drei Tagen zu einem hiesigen Baumarkt – ein Mal habe ich was gekauft und dann am nächsten Tag wieder zurück gebracht. Ich habe eine andere Größe mitgenommen, was dann aber in der Funktion eingeschränkt war. Ich bin die Woche drauf noch mal hin und habe mir das Gerät erklären lassen. Nun funktioniert es tatsächlich.

Was ich aber eigentlich erzählen will: auf dem Platz vor dem Baumarkt steht ein Falafelstand, der mir zuvor nie aufgefallen ist. Ich hatte Lust auf Falafel und blieb stehen. Während der Typ meinen Falafel zubereitete, fragte ich ihn: „Ich habe diesen Wagen hier vorher noch nie gesehen. Seid Ihr neu hier?“ Ich sagte ‚Ihr‘, weil da vorher noch ein paar Leute mit in dem Wagen waren.
„Nee, uns gibt’s seit anderthalb Jahren an diesem Ort.“
Ich überlegte, ob ich seit anderthalb Jahren nicht mehr in jenem Baumarkt war. Ich kann es nicht sagen, doch wer weiß denn noch, wo man die letzten 1,5 Jahren eingekauft oder was umgetauscht hat?
„Ist das Dein Laden?“, fragte ich weiter.
„Nee, bloß nicht. Ich bin angestellt. Das hier gehört meiner Schwester, die hat den aufgemacht.“ Wie das wohl ist, für seine Schwester zu arbeiten? Ich stelle mir das nicht so konfliktfrei vor.
Wir quatschten noch ein bisschen belangloses Zeug, um mich herum standen einige Leute, die entweder ihren Falafel aßen oder sich zum Warten in einem Halbkreis anstellten. Ich verabschiedete mich.

Am Tag des Umtausches kam ich wieder an dem Stand vorbei und wollte mir einen Falafel mitnehmen. Der Typ wirkte in Gedanken. Er bediente erst eine stark geschminkte Frau, die dann ihren Falafel in der Hand direkt neben der Theke aß.
Er drehte Musik per Handy auf und ein bunt blinkender kleiner Lautsprecher fetzte die einleitende YouTube-Werbung für den neusten Ohrreiniger über den vor uns liegenden Parkplatz: „Leiden Sie auch unter verstärktem Ohrenschmalz?“
Ich schaute die kauende Dame neben mir an, aber die Frage schien ihren Appetit nicht zu irritieren.
Dann tönte ein krachender Rap-Song aus dem kleinen bunten Ding, wirklich toller Beat – und der Typ legte unwillkürlich einen drehenden, nahezu fliegenden Move in dem engen Gang des Verkaufswagens hin. Er schien uns wartende Zuschauer gar nicht mehr wahrzunehmen – sein Kopf, seine Schultern gingen nicht mit im Takt, sie WAREN der Takt, während Gemüse, Salat und löffelweise Soßen die Brotfladen bekleckerten. Wie ein Geist, welcher mit modernster Technik in Fantasy-Filmen in einen Körper reinfährt, sahen wir hier einem entflohenen Dschinn zu.
Wobei die an ihrem Falafel beissende Dame loyal mit wippte: kauen, schlucken und Kopfbewegung in mehr oder weniger harmonischem Rhythmus. Und sie drehte sich in der Hüfte. Auch in ihr ein kleiner Geist.

Am dritten Tag meines Besuchs zog ich erneut zielstrebig in den Baumarkt, an dem Falafelstand vorbei. Der Typ fegte den Boden des Wagens aus, zu dem gleichen krachenden Beat wie die Tage davor. Später stellte ich mich an – natürlich für einen Falafel.
Während er in Windeseile die Bällchen formte (wie viele er wohl am Tag davon machte? Ich traute mich nicht ihn zu fragen, irgendwie hatte ich das Gefühl, die hohe Zahl würde ihn nicht glücklich machen), fragte ich: „Machst Du Musik?“
Sein Gesicht überzog eine kleine Wolke der Überraschung, mit einer Messerspitze voll Schmerz, gefolgt von einem geschmeichelten Lächeln.
„Merkt man das etwa?“ Er sah mich dann bemüht cool an, er schien die Frage als Kompliment zu sehen.
„Doch, irgendwie schon,“ sagte ich.
„Ich habe mal Musik gemacht, ist schon lange her. Aber wir waren nicht erfolgreich, Du brauchst dafür echt ne Menge Startkapital und Du musst einfach Glück haben. Dann hatten ein paar Leute keinen Bock mehr. Jetzt machen wir das nur noch so ein bisschen als Hobby für uns selbst. Ist schade, aber so ist es nun mal…“ Er seufzte.
„Habt Ihr auch mal Konzerte gegeben?“ Fragte ich weiter.
„Ja, aber ganz Kleine.“ Er sah mich kurz prüfend an. Dachte er etwa, ich hätte einen inkognito-Rapper der ersten Berlin-Liga auf einem Baumarktparkplatz wieder erkannt?
„Kennst Du uns? Wir waren NGA.“
„Nein,“ sage ich. „Aber ich habe wirklich keine Ahnung von Rap.“
Er nickte schnell. „Mann, jetzt kommen die ganzen Erinnerungen zurück…“ Er lachte und drehte sich dabei schnell zur Seite.
„Mann, war eine schöne Zeit…“ Sein Kopf machte immer wieder diese schnellen nickenden Bewegungen.
„Musikbusiness ist hart. Und mit YouTube können nur die ganz Großen Geld verdienen. Du musst richtig gute Videos drehen, das kostet alles Geld und Zeit und Du brauchst halt einfach viel Geld und dann kommt dabei nichts rum und nur die richtig Guten, Du musst halt viel Kohle haben… und Glück…“
Er schüttelte den Kopf bei dem Wort ‚Glück‘. Der Blick ging von der Ferne des vor ihm liegenden Parkplatzes in die Schüssel mit Falafelteig hinein.