Der Begriff „Lovestory“ impliziert ja einen klassischen Plot mit einer Begegnung zweier Parteien zu einem gewissen Zeitpunkt in einem umgrenzten Raum.
Dass man diesen Zusammenstoß  mit der Bezeichnung „Liebe“ (oder in abgeschwächter Form „Love“) schmückt, resultiert hier aus dem Bedürfnis nach einer begrifflichen Übertreibung im Nachhinein – eine Romantisierung durchlebter Überforderungen, die selbst für neurotisch geprägte Wesen wie mich niemals so schlecht ausgehen können, wie vorher beschworen.

Der zweite Besuch in jener Neuköllner Tierarztpraxis steht somit in jener Folge von „falling-in-love“ – Momenten, die in der Erwartung des Schlimmsten dann durch einen Zusammenprall mit den unverhofft bezaubernden Gegebenheiten der Realität entstehen (man denke an das „Bumm!“ beim Froschkönig: als die Prinzessin den ekligen Frosch voller Panik an die Wand wirft, entsteht eine komplette Verwandlung der Situation. Die Grimm-Brüder haben die Möglichkeit eines Wechsels von hässlichen Momenten in ihr Gegenteil als Metapher massentauglich auf die Bühne gebracht).

Und nun die Blutabnahme als Voruntersuchung zur unausweichlichen Zahnextraktion beim geliebten Haustier (um mit dem Gleichnis des Froschkönigs zu sprechen: der goldene Ball ist in den Brunnen gefallen und nun folgen jene anstrengenden Ausgleichsbewegungen des Lebens, für die man sich auf dementsprechende Begegnungen im Außen einlassen muss).

Man sagt ja, dass Mensch und Tier irgendwann in einen körperlichen sowie gefühlsmäßigen Einheitsbrei verfallen, wenn eine gewisse Zeit in einem gewissen Trott miteinander verbracht wird – man denke nur an die Beschreibung einer Figur in Albert Camus‘ „Der Fremde“, wo Hundehalter und Hündchen einen gleich aussehenden Hautausschlag entwickeln (oder an Mensch und Mensch, die nach einer gewissen Zeit die gleichen Freizeitklamotten von Tchibo tragen).

Bei dem Katerchen – ein hochnervöses Wesen im Alltag – und mir verlaufen Formen von Empfindlichkeiten tatsächlich in ähnlichen Rhythmen ab, in Extremsituationen jedoch unter umgekehrten Vorzeichen: er verfällt in Schockstarre, sobald er in den Katzenkorb gezwängt wird, während mein Puls dagegen in abnorm hohe Gefilde abgleitet.

In dem kahlen Behandlungszimmer, das mich mit seinen farblich undefinierbaren Spritzern an ewig nicht gestrichenen Wänden an einen Schlachthof denken lässt, wirkt das Katzentier auf dem OP-Tisch so tiefen-entspannt, als wäre es bereits ausgestopft. Ich dagegen bemerke irgendwann, dass ich von einem Bein auf’s andere trete, als müsste ich dringend pinkeln – obwohl ich Hals abwärts kein Gefühl mehr in meinem Körper habe.

Der Tierarzt meines neuen und plötzlich abhanden gekommenen Vertrauens nimmt den einen willenlosen Katzenarm in seine Hand, während er mit der anderen nach einer großen Schere greift.

Ich weiß im Nachhinein nicht mehr, ob ich geschrien habe, aber dies muss wohl beim Vorspulen der Bilder jener Situation vor meinem inneren Auge passiert sein: „Wie, machen Sie die Blutentnahme hier etwa mit einer Schere?!?“
Der junge Mann schaut mich irritiert an, dann seine Assistentin, die halb mit ihrem Oberkörper auf dem Kater drauf hängt, um mögliche Ausweichbewegungen zu verhindern (was bei dem an einer Bewusstlosigkeit grenzenden Zustand des Tieres nicht wirklich nötig ist).

„Äh, nein.“ sagt er ruhig. „Damit schneide ich das Fell weg, um einen Zugang zu legen.“ Er setzt die Schere flach an und schneidet die Haare an einer Stelle ab.
Ich lache etwas kehlig: „Hah…“ Es lacht niemand mit.
Sie – meine plötzlichen Feinde – können sich ein Kopfschütteln nicht verkneifen. So wirkt es zumindest in ihrer konzentriert vorgebeugten Haltung über dem weißen Fellarm.
„WIE BITTE?“ Fährt es aus mir heraus. „So eine große Nadel nehmen Sie hier?!?“
Als ich die Kanüle sehe, mache einen Schritt vor, so als könnte ich irgend etwas aufhalten. Ich trete wieder zurück und schlage die Hände vor dem Gesicht zusammen.
„Die ist doch für Erwachsene, nicht für Katzenarme!“
Zack, das Ding ist drin. Schnell legen routinierte Hände das Röhrchen an, in welches dunkles Blut hinein quillt.
„Also, ich dachte, dass man da nur ein paar Tropfen braucht…“ Ächze ich.
Das Röhrchen ist tatsächlich schnell voll und ein zweites wird behände angelegt.
„Noch eins… ?!?“ Ich weiß, ich werde nicht ohnmächtig werden, aber die Möglichkeit dessen wirkt in diesem Moment ziemlich verlockend.
„Wollen Sie vielleicht draußen warten?“ Fragt mich der immer noch freundliche Tierarzt. Er fummelt weiter an dem Katzenarm herum, welcher geschickt verbunden wird.
„Was kommt denn noch?“ Frage ich erschrocken zurück.

Die Tierarzthelferin streichelt dem scheintoten Kater zärtlich das Fell: „Du bist so tapfer.“ Gurrt sie ihm leise ins Ohr.
Und, um die Frage nach der Verhältnismäßigkeit scheinbar gleichgeschalteter emotionaler Lagen zwischen Mensch und Tier (oder whatever) aufzunehmen, fügt sie laut genug für mich hinzu: „So viel tapferer als Frauchen.“

Bumm!