Heute habe ich eine Freundin mit Wehen ins Krankenhaus begleiten dürfen. Ich war vorher ziemlich gestresst und hatte mir Sorgen wegen einiger anstehender Termine gemacht. Aber bereits auf dem Weg ins Urban mit der neben mir werdenden Mama wurde ich schon ruhiger – es gibt doch kein effektiveres Anti-Stress-Programm im Alltag, als ganz auf den Körper zurück geworfen zu werden. Und sei es auf den kugelrunden Bauch eines nahen Menschen (gut, es ist auch recht logisch, dass es einem gar nicht so schlecht gehen kann, wenn es jemandem neben einem noch schlechter geht…).

Dort angekommen geht alles routiniert und schnell: wir werden in ein eigenartig geschnittenes Untersuchungszimmer geführt, welches aussieht wie ein schlecht kaschiertes Patientenbad. Aber wahrscheinlich hat Vivantes auch gar nichts anderes als Ziel für diesen Raum gehabt. Neben billigen Einbauschränken und einer hässlichen Plastikpflanze stehen eine zu klein wirkende Badewanne mitten im Zimmer sowie ein notdürftig hinter einem getupften Vorhang verstecktes WC und eine Dusche. Man hat den Eindruck, dass man sich hier bloß nicht zu wohl fühlen soll; es geht ja eh so schnell wie möglich wieder nach Hause.

Die Hebamme spricht ebenfalls schnell. Und sehr leise. Ich muss mich arg anstrengen eine ihrer sicherlich 1000-fach ausgesprochenen Anweisungen mit zu verstehen, doch ihre Klarheit und Struktur kommen bei uns an. Meine Freundin wird an den Wehenschreiber geschlossen und los geht die Warterei. Und die meine – im wahrsten Sinne des Wortes – Ent-Spannung. Das regelmäßige Kratzen des CTG auf das grünliche Papier mit den vielen feinen Kästchen und der Widerhall der Herztöne des Kindes haben eine geradezu einschläfernde Wirkung auf mich. Nur das regelmäßige Stöhnen des Muttertieres holt mich immer wieder in das Klinikum zurück. Als sie wieder ein Mal ein schmerzverzerrtes „F***“ und „Sch****!“ ruft, wird sie bestimmt von der Hebamme ermahnt, dass sie sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren solle und auf eine positive Kraft. Auch sie würde das schaffen, sonst wäre die Menschheit ja bereits ausgestorben. Meine Freundin nickt ergeben und beherrscht ihre Triebe.

Als eine andere Freundin eintritt und ich mich langsam verabschieden will, frage ich die Hebamme, wieviele Kinder sie bereits in ihrem Beruf zur Welt gebracht hat.
„Ach“, sagt sie in ihrem erschöpften Flüsterton. „Mein erstes habe ich 1977 zur Welt geholt, das ist ja schon 41 Jahre her. Seitdem werden es bestimmt mehr als 8000 gewesen sein. Ganz abgesehen von den Situationen wie hier, die ich nur bis zur Geburt begleite.“ Sie winkt ab.

8000… ich kriege den Mund nicht mehr zu. Ein Teilnehmer meiner Bewegungseinheiten wird mich später am Tag auf diese von mir erzählte Episode hin fragen, wie viele Pilates-Stunden ich denn schon in meinem Leben gegeben habe. Darauf kann ich natürlich nicht antworten. Ein Bäcker wird Millionen von Brötchen in seinem Leben backen, ein Straßenkehrer sechsstellige Straßen mit seinem Besen bearbeiten (okay, nur noch Beppo in „Momo“ von Michael Ende), aber kann man das vergleichen? Ich war in meiner Krankenschwesterausbildung bei zwei Geburten dabei. Die eine war heftig und man kann es nicht anders sagen: brutal. Selbst die Ärztin war hinterher fertig. Ein neues Leben ins Leben zu holen kann eine grenzwertige Erfahrung sein, bei der die Diesseitigen stark verwurzelt sein müssen – so mein Eindruck und so auch die Ausstrahlung jener Hebamme hier im Urban.

„Na, und jetzt bin ich gute 60 und ich merke, dass mir langsam die Kraft ausgeht. Zumal ich auch hier die Leitung innehabe. Und der Schichtdienst… Aber wenn man dann das Neugeborene in den Händen hält und in das Gesichtchen schaut…“ Sie hält inne und formt mit ihren Händen eine zarte Höhle. „… das ist Gnade.“