Ich war in Basel und habe mir dort diese viel gerühmte Retrospektive von/mit/für Bruce Nauman angesehen und ich kann nur sagen, es hat sich absolut gelohnt. Was für eine lebendige, leicht zugängliche und berührende Ausstellung!
Seine Konsequenz beim Durchdringen scheinbarer Gegensätze und Antipoden wirkt spielerisch und unerschrocken ernsthaft zugleich. Man kann ihm unbedenklich folgen – und das Schöne für mich an dieser vielfältigen Inszenierung seiner Werke: es ist so einfach. Man muss nicht krampfhaft um aufgebauschte Ecken sinnieren, sondern Bruce (ja, ich nenne ihn nun beim Vornamen, nach dieser Ausstellung habe ich das Gefühl, wir sind dicke Freunde) lässt einen ganz sinnlich teilhaben an einer Verzweiflung, einem sich-ständigen-Fragen-stellen: wozu sind wir hier? Was ist der Grund unseres Seins? Was machen wir daraus und im Besonderen er in der Rolle des Künstlers? Diese Diskrepanz zwischen den Polen, dem Gutsein und dem menschlichen Hang zu Gewalt und Zerstörung begegnet Bruce immer wieder entwaffnend ironisch, selbstkritisch, ehrlich. Und lässt uns teilhaben an dieser endlosen Palette an physischen und metaphysischen Möglichkeiten, wie wir unserem Sein und damit so etwas wie Wahrheit näher kommen können.
Diese Gratwanderung auf wahrgenommenen Gegensätzen und Widersprüchlichkeiten scheint sich für mich auch in der unmittelbaren Umgebung wieder zu finden: Basel … eine Stadt von der ich weiter nichts weiß, als dass sie sehr schön am Rhein und im Drei-Ländereck gelegen ist – die Kunstmetropole Europas. Der Blick über die Ausläufer des Jura schenkt dieser vergrößerten Modell-Eisenbahn-Stadt eine gewisse Idylle und Hammer-mäßig gute Luft. Sie scheint ein Schweizer Nationalprodukt zu sein.
Ich atme ganz bewusst auf meinen Spaziergängen durch diese kantige Ansammlung von Häusern in auffällig aufgeräumten Straßen. Ein jeder bringt beflissentlich seinen Müll in einen dieser vielen aufgestellten Mülleimer; später lese ich auch den Grund auf einem Schild geschrieben: wer eine Zigarettenkippe fallen und sich dabei erwischen lässt, zahlt 80,- CHF, also fast 70,- €dafür.
Weiterhin bin ich verwundert über so manch ungewohnt daherkommende wörtliche Aussagen im öffentlichen Raum. Einerseits heißt es so niedlich „Grüezi“ für Guten-Tag und „Weckli“ und „Schoggli“ für süße Brötchen und im Vorbeigehen höre ich ein Mädel „er hat die Beziehi beendet“ sagen – das klingt doch viel weniger dramatisch als bei uns Deutschen. Doch auf einer Glastür sehe ich auf einem Aufkleber das Wort „stossen“ statt unser bekanntes „drücken“. Da steht eine Vehemenz hinter, die erstmal irritiert. Besonders beeindruckt bin ich von dem kleinen Schild im Bus mit dem Symbol einer Hand auf einem Knopf: „Halt auf Verlangen“.
Das Wort „Verlangen“ ist meinem Verständnis nach ein starkes Wort. Ich verbinde damit vielmehr ein tiefes körperliches Bedürfnis, so etwas wie „Verlangen nach Schokolade“, „sexuelles Verlangen“ oder „Tötung auf Verlangen“. Aber „Halt auf Verlangen“?
In der Touristen-Info spreche ich den netten Mitarbeiter darauf an, was er von der deutschen Variante „Haltewunsch“ hält. Er nimmt einen Finger an die Lippen und überlegt. „Hmm“, kommt es nach einer kurzen Zeit. „Nein, das überzeugt mich nicht. Das klingt so, als würde man zwar einen Wunsch äußern können, aber wenn der Fahrer halt keine Lust dazu hat, dann tut er es auch nicht.“
Verblüfft fange ich an zu lachen. Wie Bruce die Worte in seinen grell-leuchtenden Lichtinstallationen in einer bestimmten Reihenfolge aufblinken lässt und ihnen dadurch weitere Konnotationen entlockt, so dreht der Schweizer Touristenführer den „Haltwunsch“ in den deutschen öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer ungeahnten Freiheit des Busfahrers, die ich so bisher nicht für möglich gehalten habe. Und dieser bestimmt ebensowenig.