Ich habe keinen Barkeeper, welcher mir zu jedweder Tages- und Nachtzeit reinen Wein einschenken könnte, dafür aber mittlerweile eine Barista, die mir nicht nur sehr guten Kaffee sondern unliebsame Wahrheiten serviert.
Es ist nicht so, dass ich danach fragen würde, vielmehr ergeben sich diese durch eine gewisse Dynamik unserer Gespräche, eine Vertrautheit, die sonst vielleicht eher durch herunter getrunkene Kontrollmechanismen entsteht.

Um ein paar Beispiele zu nennen: Ich kam nach einem Sommerurlaub mit meiner gesamten Familie wieder und war ziemlich kaputt von der langen Fahrt bei hohen Temperaturen, aber auch den vielfachen und hitzigen Auseinandersetzungen, die wir in der Ferienzeit miteinander ausgetragen hatten. Ich hängte mich also über den Verkaufstresen meiner Barista und sagte: „Boah, Urlaub mit der Familie ist sooo anstrengend!“ Ich hatte eigentlich zustimmendes Nicken oder irgendeinen mitleidigen Spruch erwartet, stattdessen kam von ihr: „Ja, aber für die doch auch mit Dir.“

Ein ander Mal kam ich in die Kaffeebar und heulte rum, dass mir mein geliebtes Fahrrad gestohlen wurde.
Sie: „War es teuer?“ Ich: „Nein, aber es war ein besonderes Fahrrad. Es lag mir wirklich am Herzen. Ich bin echt traurig.“ Sie machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. „Das geht vorbei.“

Vor ein paar Tagen war ich mal wieder da. Sie fragt, wie es mir geht. Ich seufze: „Midlife-Crisis. Aber das Schlimmste ist wohl überstanden.“ Sie wirkt einen Moment verständnisvoll und erzählt von der ihren vor ein paar Jahren durchgemachten Sinnkrise. Als ich mich zum Gehen umdrehe, ruft sie mir munter hinterher: „Aber weiterhin gute Besserung!“
Was will ich mehr…